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Schlagwort: Rollenerwartungen

Die Morddrohungsreichweite

Sieben Jahre lang habe ich Gastkolumnen für den «Winterthurer Stadtanzeiger» geschrieben. Es waren Gefälligkeitskolumnen, Alltagsbeobachtungen, solches Zeug eben. Sehr selten gab es Leser:innenrückmeldungen. Weil sie alle wohlwollend waren, erinnere ich mich nicht mehr aktiv an sie. Ein einziges Mal gab es einen negativen Kommentar. Die Kolumne hiess «Vater werden wäre schön». Darin schrieb ich, dass die Rollenerwartung an die Männer in Bezug auf Vaterschaft sehr viel einfacher zu erfüllen zu sei als die der Mütter – ergo würde ich nicht gern Mutter, sondern lieber Vater sein.

Daraufhin meldete sich ein erboster Vater bei mir. Er machte seinem Ärger Luft und führte sein hohes Engagement in Sachen Kinderbetreuung ins Feld. Ich fühlte mich waaaaaahnsinnig schlecht deswegen und überlegte lange, ob ich ihm zurückschreiben sollte. Ich unterliess es, nachdem ich den Rat einer Freundin eingeholt hatte. Diese meinte: Der Text muss für sich stehen. Wenn ich antworten würde, käme es einer Rechtfertigung gleich.
 

Einschüchterungsversuch Nummer 3765
Was ich damals, so früh in meiner Autorinnenlaufbahn, schon begriff: Wer sich zu feministischen Themen äussert, wird abgewertet und verunglimpft. Gehatet, würde man heute sagen. Das war Ende der Nullerjahre. Heute, mit der Anonymität des Internetz, hat sich das ins Tausendfache potenziert. Mit einer beispiellosen Heftigkeit bekommt das die «Spiegel Online»-Kolumnistin Margarete Stokowski zu spüren. Im Vorwort ihrer Kolumnensammlung «Die letzten Tage des Patriarchats» schreibt sie, dass man sich sehr schnell an Hasskommentare gewöhne oder mit dem Job aufhöre. Man gewöhne sich ebenfalls daran, dass man missverstanden und falsch eingeschätzt werde. «Vieles ist nicht zum Lernen, sondern zum Einschüchtern, und das klappt nicht», so die Journalistin weiter. «Gewalt- und Mordandrohungen zeige ich an, alles andere nicht», schreibt sie lakonisch.
(Die letzten Tage des Patriarchats, S. 21)    

Nicht nur zum Lächeln den Mund aufmachen
Ich bin nun in meinem Leben an einem wirklich heiklen Punkt: Will ich mit meiner eigenen Stimme über feministische Themen schreiben – Themen, die mich wirklich wirklich interessieren, und muss ich dafür in Kauf nehmen, dass ich dafür Morddrohungen erhalte? Oder anders gefragt: Will ich eine Autorin mit Morddrohungsreichweite werden?
Ich bin weiblich sozialisiert, angepasst und hasse es, wenn man mich nicht mag. Die idealen Voraussetzungen, um nie eine Kolumnistin mit Morddrohungsreichweite zu werden. Doch was ich damals noch nicht begriff: Die ganzen Diffamierungen sind Kalkül des Patriarchats. Subtil und perfide will man uns mundtot machen, indem man uns abwertet. Ich bin Autorin und nicht Aktivistin – aber bei feministischen Themen lässt sich das eine ganz schnell nicht mehr vom anderen unterscheiden. Es ist an der Zeit, dass ich den Mund aufmache und es aushalte, wenn der Gegenwind bläst. Vielleicht gibt mir das ja genau den Antrieb, den ich brauche.