Ringen mit den Übermüttern
Ich bin jetzt seit vier Jahren Co-Parent. Also schon richtig erfahren! Im Klartext bedeutet dies: Ich bin kinderlos, gleichzeitig erhalte ich durch meinen Mann einen unverklärten Einblick ins Elterndasein. Einmal die Woche betreuen wir gemeinsam seinen Sohn. Wir hatten vorher beide überhaupt keine Erfahrung mit Kindern – umso mehr erstaunt es mich, wie rasch und unkompliziert wir in unsere Rollen hineingefunden haben. Wir sind ins Dasein als Tages- und Wochenendeltern geglitten wie in eine gut sitzende Jeans. Er kocht und baut mit dem Kleinen den Lego Mars Rover zusammen, ich lese ihm Bilderbücher vor und baue Sofahütten.
Neulich hat der 5-Jährige beim Mittagessen verkündet, dass er Seepolizist werden möchte, wenn er gross ist. (Wegen dem Jetski). Und da wir am See wohnen und mein Mann seine Liebe und Zuneigung gern mit Kochen für seine Liebsten ausdrückt, meinte ich: «Dann würde Papi in deiner Mittagspause immer für dich kochen.» Daraufhin der Kleine: «Dann könnte ich immer zu euch an die alte Landstrasse kommen!» Diese Aussage hat mich so gerührt. Ihm Heimat zu schenken und Heimat zu sein, ist eine unermessliche Bereicherung für mich.
Doch Halt: Als Co-Parent gehöre ich nicht richtig zum Elternkosmos. Wenn ich Eltern davon berichte, dass ich den Kleinen vergöttere, aber auch wieder froh bin, wieder meine eigenen Wege gehen zu können, ernte ich schräge Blicke. Eigentlich hätte ich erwartet, dass man zu mir sagt: «Du hast es schön!» Oder zumindest: «Das kann ich sehr gut verstehen.» Stattdessen heisst es manchmal: «Wenn es die eigenen Kinder sind, ist es anders – viel vertrauter.»
Ein Satz wie ein Wurfgeschoss.
Ganz offensichtlich werde ich als Co-Parent im Elternkosmos für nicht ganz voll genommen. Wie überall da, wo es um Identität und Zugehörigkeit geht, werden mit fettem Edding Grenzen gezogen. Ich hier und du dort. «Vielleicht haben frisch gebackene Eltern Angst, die Bindung zu ihrem Kind zu gefährden, wenn sie sich ihren Wunsch nach Freiheit eingestehen», sagt Fabs am Samstagabend in der Wellnessoase. Immerhin ist sie gerade selbst zum ersten Mal Mutter geworden und bezeichnet ihr Kind als wünschenswertestes Wunschkind.
Elternschaft trainiert die Liebesfähigkeit, und das ist sehr schön. Plötzlich nur noch ein grosser Ballen Gefühl zu sein: Das hätte mir bestimmt auch gefallen. Doch gleichzeitig ist mir als Freiheitsmensch die Vorstellung ein Graus, dass sich der Bewegungsradius so stark einschränkt und sich die Autonomie verabschiedet. Darf man es als Eltern bei aller Liebe für die Kinder nicht manchmal verfluchen, seiner eigenen Fremdbestimmung beraubt zu sein? Hinzu kommt: Der unbedingte Wille zur Aufopferung ist gefährliches Terrain. Vielleicht reagiere ich auch aus einem ganz bestimmten Grund so allergisch auf diesen Hang zur Bedürfnisnegierung: Weil es doch wieder oft die Väter sind, die ihren Raum besser verteidigen und sich Freiheiten ganz selbstverständlich herausnehmen. Väter, die im Wochenbett plötzlich einen vorher ungekannten sportlichen Ehrgeiz entwickeln, sich mit Verve in eine Sammelwut stürzen oder so ganz nebenher noch den selbst gebauten Windeleimer patentieren lassen.
Niemand kann mir weissmachen, dass die fehlende Spontanität und Freiheit des Elterndaseins nicht manchmal auch eine Bürde ist. Die gesteigerte Liebesfähigkeit hat ein Preisschild.
Oder kann es tatsächlich sein, dass sich in den mittleren Jahren, was das Bedürfnis nach Freiheit betrifft, eine gewisse Sattheit einschleicht? Oder dass die Autonomie ohnehin schon immer eine gänzliche Überforderung war und man froh ist, sie endlich loszusein? Wenn ich es mir genau überlege, kann ich es auch bei meinem Mann beobachten: Er geht mit der Fremdbestimmung lockerer um als ich. Ich kann gut damit leben, dass ich nun mal ein Mensch mit einem hohen Autonomiebedürfnis bin. Mir unterschwellig zu verstehen zu geben, ich könne als Co-Parent für die totale Selbstaufgabe wohl einfach nicht genug lieben, finde ich eine Anmassung. Wie innig und liebevoll Beziehungen auch mit etwas mehr Distanz sein können, beweisen Grosseltern und Enkelkinder jeden Tag. Unser Kind ist uns passiert. Dennoch habe ich mich für diesen Weg entschieden. Dafür habe ich wenn nicht Anerkennung, so doch mindestens Respekt verdient.