Skip to main content

Ringen mit den Übermüttern

Ich bin jetzt seit vier Jahren Co-Parent. Also schon richtig erfahren! Im Klartext bedeutet dies: Ich bin kinderlos, gleichzeitig erhalte ich durch meinen Mann einen unverklärten Einblick ins Elterndasein. Einmal die Woche betreuen wir gemeinsam seinen Sohn. Wir hatten vorher beide überhaupt keine Erfahrung mit Kindern – umso mehr erstaunt es mich, wie rasch und unkompliziert wir in unsere Rollen hineingefunden haben. Wir sind ins Dasein als Tages- und Wochenendeltern geglitten wie in eine gut sitzende Jeans. Er kocht und baut mit dem Kleinen den Lego Mars Rover zusammen, ich lese ihm Bilderbücher vor und baue Sofahütten.  

Neulich hat der 5-Jährige beim Mittagessen verkündet, dass er Seepolizist werden möchte, wenn er gross ist. (Wegen dem Jetski). Und da wir am See wohnen und mein Mann seine Liebe und Zuneigung gern mit Kochen für seine Liebsten ausdrückt, meinte ich: «Dann würde Papi in deiner Mittagspause immer für dich kochen.» Daraufhin der Kleine: «Dann könnte ich immer zu euch an die alte Landstrasse kommen!» Diese Aussage hat mich so gerührt. Ihm Heimat zu schenken und Heimat zu sein, ist eine unermessliche Bereicherung für mich.

Doch Halt: Als Co-Parent gehöre ich nicht richtig zum Elternkosmos. Wenn ich Eltern davon berichte, dass ich den Kleinen vergöttere, aber auch wieder froh bin, wieder meine eigenen Wege gehen zu können, ernte ich schräge Blicke. Eigentlich hätte ich erwartet, dass man zu mir sagt: «Du hast es schön!» Oder zumindest: «Das kann ich sehr gut verstehen.» Stattdessen heisst es manchmal: «Wenn es die eigenen Kinder sind, ist es anders – viel vertrauter.»

Ein Satz wie ein Wurfgeschoss.

Ganz offensichtlich werde ich als Co-Parent im Elternkosmos für nicht ganz voll genommen. Wie überall da, wo es um Identität und Zugehörigkeit geht, werden mit fettem Edding Grenzen gezogen. Ich hier und du dort. «Vielleicht haben frisch gebackene Eltern Angst, die Bindung zu ihrem Kind zu gefährden, wenn sie sich ihren Wunsch nach Freiheit eingestehen», sagt Fabs am Samstagabend in der Wellnessoase. Immerhin ist sie gerade selbst zum ersten Mal Mutter geworden und bezeichnet ihr Kind als wünschenswertestes Wunschkind. 

Elternschaft trainiert die Liebesfähigkeit, und das ist sehr schön. Plötzlich nur noch ein grosser Ballen Gefühl zu sein: Das hätte mir bestimmt auch gefallen. Doch gleichzeitig ist mir als Freiheitsmensch die Vorstellung ein Graus, dass sich der Bewegungsradius so stark einschränkt und sich die Autonomie verabschiedet. Darf man es als Eltern bei aller Liebe für die Kinder nicht manchmal verfluchen, seiner eigenen Fremdbestimmung beraubt zu sein? Hinzu kommt: Der unbedingte Wille zur Aufopferung ist gefährliches Terrain. Vielleicht reagiere ich auch aus einem ganz bestimmten Grund so allergisch auf diesen Hang zur Bedürfnisnegierung: Weil es doch wieder oft die Väter sind, die ihren Raum besser verteidigen und sich Freiheiten ganz selbstverständlich herausnehmen. Väter, die im Wochenbett plötzlich einen vorher ungekannten sportlichen Ehrgeiz entwickeln, sich mit Verve in eine Sammelwut stürzen oder so ganz nebenher noch den selbst gebauten Windeleimer patentieren lassen.

Niemand kann mir weissmachen, dass die fehlende Spontanität und Freiheit des Elterndaseins nicht manchmal auch eine Bürde ist. Die gesteigerte Liebesfähigkeit hat ein Preisschild.

Oder kann es tatsächlich sein, dass sich in den mittleren Jahren, was das Bedürfnis nach Freiheit betrifft, eine gewisse Sattheit einschleicht? Oder dass die Autonomie ohnehin schon immer eine gänzliche Überforderung war und man froh ist, sie endlich loszusein? Wenn ich es mir genau überlege, kann ich es auch bei meinem Mann beobachten: Er geht mit der Fremdbestimmung lockerer um als ich. Ich kann gut damit leben, dass ich nun mal ein Mensch mit einem hohen Autonomiebedürfnis bin. Mir unterschwellig zu verstehen zu geben, ich könne als Co-Parent für die totale Selbstaufgabe wohl einfach nicht genug lieben, finde ich eine Anmassung. Wie innig und liebevoll Beziehungen auch mit etwas mehr Distanz sein können, beweisen Grosseltern und Enkelkinder jeden Tag. Unser Kind ist uns passiert. Dennoch habe ich mich für diesen Weg entschieden. Dafür habe ich  wenn nicht Anerkennung, so doch mindestens Respekt verdient.  

Im Wutpraktikum

-Ich begrüsse Sie herzlich zum Wutpraktikum! Ich heisse Elvira und bin Ihre Wut-Coach. Bevor wir mit einigen Lockerungsübungen beginnen, gehe ich noch rasch die Teilnehmerliste durch … ähm die TeilnehmerINNENliste. Wieder mal eine reine Frauenrunde hier. Oder etwa doch nicht – da hinten: Wie ist Ihr Name?

-Sascha Wiederkehr.

-Sascha Wiederkehr … hmmm … ach ja, hier. Auf meiner Liste steht, dass Sie sich für den Aggressionsmanagement-Kurs angemeldet haben. Das hier ist der Wut-Zulassungskurs. Eine häufige Verwechslung.  

-Bitte?

-Wir machen hier den Wut-TÜV. Ich bringe Frauen bei, ihre Wut zu umarmen. Grenzen verteidigen. Sie wissen schon. Für Sie also Zimmer 205. Viel Spass.

Nochmals von vorn: Herzlich Willkommen, liebe Fridas, Christines, Lauras und wie Sie alle heissen. Bitte entschuldigen Sie die leichte Verzögerung. Ich freue mich, Ihre Reisebegleiterin zu sein, wenn es wieder heisst: «Wie komme ich meiner gerechten Wut auf die Spur?» Der Name Wut-Praktikum ist leider etwas beschönigend. In Wahrheit ist es eher eine Art Boot-Camp. Und es gibt viel zu lernen, meine Damen. Tellerschmeissen, Türknallen, Möbelwerfen, Autolackzerkratzen und Mercedes-Stern-abknicken. Natürlich alles im Bereich des Legalen. Unsere Gefängnisse platzen ja vor lauter Männern schon aus allen Nähten.

Gründe für gerechten Zorn gibt es reichlich. Verdienen Sie weniger als ihr männlicher Kollege – bei genau gleicher Arbeit? Ersticken Sie am Mental Load? Sind Sie in der rosa Wolke versehentlich in die Hausfrauen-Falle getappt? Sie werden es kaum fassen, wie richtig Sie bei mir sind. Von einem cholerischen Vater abstammend und mit einem Mann verheiratet, der über fünf Jahre lang mit einer abgewrackten Trine rumgebumst und mit ihr Drillinge gezeugt und einen Hund adoptiert hat, kenne ich mich mit Wut ein bisschen aus. Und ich kann Ihnen sagen: Ich liebe meine Wut! Sie ist das echteste, was ich zu bieten habe. Verwurzeln Sie sich also mit beiden Füssen fest im Boden, schliessen Sie die Augen und spüren Sie in den Bauchraum: Dort schwelt sie, manchmal jahrelang im Stillen, und irgendwann entlädt sie sich wie ein Vulkan oder ein Feuerwerk.

Doch was bringt Ihnen Ihr Zorn?

Wo Tränen und Kummer Sie niederdrücken, befeuert Sie Ihr Zorn. Er schenkt Ihnen einen überwältigenden Energieschub, der sich direkt in Taten verwandeln lässt. Ich muss schon sagen: Den Frauen die Wut zu verbieten, war ein geschickter Schachzug des Patriarchats. Aber nun ist es mit vorbei mit der Gemütlichkeit! Frauen, entfesselt euch! Sie denken, dass es schon genug Wutbürger und Leid in der Welt gibt? Da haben sie völlig recht. Deshalb machen wir den Wut-TÜV ja auch hier, in einem geschützten Rahmen. Wir haben alle Vorkehrungen getroffen und eine vorteilhafte Zusammenarbeit mit Ikea ausgehandelt. Helme, Brillen und Schutzanzüge liegen bereit. Denn Vorsicht: Unterdrückte Wut kann besonders heftig sein. Hier und heute betreten wir Neuland. Auf Erfahrungswerte können wir nicht zurückreifen. Deshalb ist es gut, wenn sich Ihre Wut einmal probeweise entlädt. Und wenn sie sich nicht zeigen will, kitzeln wir sie ein wenig heraus. Ich bin mit allen Wassern gewaschen.   

Ich verletze Ihren Stolz.
Überschreite Ihre Grenzen.
Und zuletzt trample ich noch auf Ihrer Würde herum.

Auch wenn Ihre Glaubenssätze es Ihnen verbieten wollen: Ihr Zorn steht Ihnen zu. Und er steht Ihnen. Kommen Sie ruhig näher! Treten Sie an den Spiegel und begutachten Sie die wunderschöne Zornesfalte, die sich bei genauerem Hinsehen zwischen Ihren Augenbrauen erahnen lässt. Machen Sie es wie ich: Cremen Sie sie jeden Abend mit Kamelmilchfett ein, damit sie schön geschmeidig bleibt. Und lassen Sie den kostbaren Zorn ja nicht verpuffen! Er ist ein Wunderwerkzeug, denn er verrät Ihnen, wie viel Sie sich wert sind. Atmen Sie also lang aus und beim Einatmen zählen wir gemeinsam: Eins, zwei, …

Seine Hände

Neulich legte ich mitten in der Nacht meine Hand in seine, sodass sich unsere Fingerglieder ineinander verschränkten. Der sanften Berührung im Schwebezustand zwischen Wachsein und Schlaf entstieg sofort der Drang, über diese unglaublichen Hände zu schreiben. Es gab auch schon andere Männerhände in meinem Leben: Solche, die fast zu klein wirkten für den stattlichen Besitzer und mich deshalb rührten. Was für heimliche Schönheitsrituale verbargen sich hinter den akkurat geschnittenen Nägeln auf den verstörend gepflegten Nagelbetten?, fragte ich mich.  

Seine Hände mit den langen, festen Gliedern haben genau die richtige Grösse: Sie umschliessen meine Hände ohne zu starken Druck. Die Haut fühlt sich samtig-weich an, ist stets trocken und schenkt Sommer wie Winter mediterrane Sonnenwärme. Speicherhitze wie zu Grossmutters Zeiten der Kachelofen! «D Meitli leged d Händsche a, d Buebe laufed gschwind», heisst es in einem sehr bekannten Deutschschweizer Kinderlied. Handschuhe trägt er im Winter tatsächlich fast nie, ich hingegen gehe selten ohne aus dem Haus. Es sei denn, seine unglaublichen Hände sind in Griffweite.

Es sind Hände, die nie tropisch-feucht-ekelerregend sind. Ein Mann mit Händen, die sich falsch anfühlen: Schwierig, ja unmöglich. Das Verlangen nach seinen Händen zerrte sofort an mir. Es ist die Sehnsucht nach diesem Urgefühl: Dem Geborgensein durch ihn.

Oh, Robert!

«Das Schöne am Schreiben ist, dass Du es nicht gleich beim ersten Mal richtig machen musst wie bei, sagen wir, einer Gehirnoperation.»

Robert Cormier (1925–2000)

Dieses Zitat hat mich auf meinem Weg als Autorin stets begleitet. Obwohl ich das Werk des US-amerikanischen Schriftstellers und Journalisten Robert Cormier kaum kenne, nahm ich meinen Schreibschüler:innen damit gern die Angst vor dem weissen Blatt. War dieser Vergleich etwas gewagt?, fragte ich mich manchmal im Stillen – und schob den Gedanken gleich wieder weg.

Ich hörte auf zu unterrichten, wendete mich anderen Dingen zu. Das Zitat fiel mir erst wieder ein, als mir ungefähr genau vor einem Jahr eine Mitarbeiterin der neurochirurgischen Abteilung einer Zürcher Privatklinik aufs Band sprach. Ich solle doch zurückrufen, wegen des Operationstermins. Oh Robert, du kannst dir nicht vorstellen, wie beschissen es ist, einen Anruf aus der Neurochirurgie zu erhalten! Ich muss hier vielleicht gleich vorwegnehmen: Es war keine richtige Gehirnoperation mit Schädeldecke-Öffnen und so. Vielmehr liess ich mir eine Zyste in der Hypophyse entfernen. Die Hypophyse ist die Chefin unseres Hormonhaushalts. Sie koordiniert die Ausschüttung der Botenstoffe und liegt unterhalb des Grosshirns. Das Praktische an dieser minimalinvasiven Operation ist: Man muss den Körper nicht öffnen, sondern man benutzt eine Öffnung, die ohnehin schon vorhanden ist: Das Nasenloch.

Der innere Vertigo

Hirn oder Herz: Das sind wohl die zwei Organe im Körper, an denen man am wenigsten gern an sich rumschnippeln lässt. Weil sie sinnbildlich für das Leben stehen. Natürlich wäre eine OP am Knie oder in der Leistengegend auch kein Spaziergang gewesen. Aber angesichts des bevorstehenden Eingriffs nahm ein innerer Vertigo von mir Besitz: Ich kenne das gut, es fühlt sich an wie ein Loch im Innern, in das ich zu fallen drohe. Oh Robert, I can tell you: I was scared to hell. Ich hatte mich selber für diesen Eingriff entschieden, um endlich frei von Medikamenten leben zu können. Die Medikamente vertrug ich jedoch hervorragend – was also, wenn es mir nach der OP schlechter ging als vorher? Die Begriffe «Sterblichkeitsrate und Entfernung Prolaktinom» googelte ich erst am Vorabend des Eingriffs vom Spitalbett aus – so viel zu meinem Panikmodus.


Im Vorzimmer des Grosshirns

Die Hypophyse ist nur haselnussgross, die Platzverhältnisse im Vorzimmer des Grosshirns sind also bescheiden und in der Nachbarschaft verläuft der Sehnerv: Kein guter Ort für Raumforderungen. Es sprengt mein Hirn, wenn ich mir diese hochtechnisierte Millimeterarbeit vorzustellen versuche, die nötig war, um das Material da rauszuschaben. Ich meine: H-A-S-E-L-N-U-S-S-G-R-O-S-S! Es ist mir ehrlich gesagt immer noch ein Rätsel, wie er es gemacht hat. Der spröde, ältere Mann mit Hornbrille und weissem Kittel, erfahrener Facharzt für Neurochirurgie, der mir von mehreren Seiten empfohlen wurde. Ein Mann ohne Selbstzweifel, der in seinem Job immer gleich von Anfang an alles richtig macht. «Inshalla!», schickte ich als Stossgebet Richtung Himmel.  

Die OP verlief absolut komplikationslos, ich hatte überhaupt keine Schmerzen und auch meiner Nase war nichts anzumerken. Seither hat sich bestätigt, was ich im Grunde ohnehin schon wusste: Der Vergleich zwischen einer Gehirnoperation und dem Schreibprozess hinkt gewaltig, weil es zwei ganz unterschiedliche Arten von Tätigkeiten sind. Schreiben als ergebnisoffenen schöpferischen Prozess auf der einen Seite, ein hochtechnisiertes Verfahren auf der anderen Seite, bei dem jeder einzelne Schritt bis ins Detail definiert ist und es Richtlinien gibt für alle Eventualitäten.  

Bereits am ersten postoperativen Tag konnte ich wieder aufsitzen und selber aufs Klo gehen. Noch einen Tag später erhielt ich bereits die ersten Besuche – unter anderem schaute mein Chirurg vorbei, seine Studierenden im Schlepptau, die einen Kreis um mein Bett bildeten. Ich genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und als medizinisches Anschauungsbeispiel zu dienen. Von den zehn Studierenden der Humanmedizin waren genau neun weiblich. An diesem Tag lernte ich: Die Zukunft ist weiblich, auch die Zukunft der Medizin. Die andere Sache, die ich lernte: Spröde ältere weisse Männer bekommen im Beisein ihrer Studierenden eine äusserst sympathische Ausstrahlung. Sowieso: Es lebe der alte weisse Mann!  Schliesslich hat einer von ihnen mich von meinem gutartigen Tumörchen befreit, das fast zwanzig Jahre lang in meiner Hypophyse gewohnt hat.

Lebwohl, Frau Prolaktinoma! Suchen Sie sich ein anderes Haus.   

Mein Januar


Den Kopf über Wasser halten

Struktur ins Chaos bringen

In die Kloschüssel bluten

Tote in Gaza

Warum müssen so viele Kinder sterben?

Wintermüdigkeit

Mich aus dem warmen Bett quälen

Zu wenig Zärtlichkeit

Unbekümmerte Zumutung

Aufgezwungene Disziplin

Schwärmen in homöopathischer Dosierung

Überrumpelt werden

Aber auch: Glitzernder Schnee in Einsiedeln

Verschneite Tannenarme

Knirschende Schritte

Dunkelheit und Licht

Der Gefährte

Kinderlachen

Ein schlagendes Herz

Die Morddrohungsreichweite

Sieben Jahre lang habe ich Gastkolumnen für den «Winterthurer Stadtanzeiger» geschrieben. Es waren Gefälligkeitskolumnen, Alltagsbeobachtungen, solches Zeug eben. Sehr selten gab es Leser:innenrückmeldungen. Weil sie alle wohlwollend waren, erinnere ich mich nicht mehr aktiv an sie. Ein einziges Mal gab es einen negativen Kommentar. Die Kolumne hiess «Vater werden wäre schön». Darin schrieb ich, dass die Rollenerwartung an die Männer in Bezug auf Vaterschaft sehr viel einfacher zu erfüllen zu sei als die der Mütter – ergo würde ich nicht gern Mutter, sondern lieber Vater sein.

Daraufhin meldete sich ein erboster Vater bei mir. Er machte seinem Ärger Luft und führte sein hohes Engagement in Sachen Kinderbetreuung ins Feld. Ich fühlte mich waaaaaahnsinnig schlecht deswegen und überlegte lange, ob ich ihm zurückschreiben sollte. Ich unterliess es, nachdem ich den Rat einer Freundin eingeholt hatte. Diese meinte: Der Text muss für sich stehen. Wenn ich antworten würde, käme es einer Rechtfertigung gleich.
 

Einschüchterungsversuch Nummer 3765
Was ich damals, so früh in meiner Autorinnenlaufbahn, schon begriff: Wer sich zu feministischen Themen äussert, wird abgewertet und verunglimpft. Gehatet, würde man heute sagen. Das war Ende der Nullerjahre. Heute, mit der Anonymität des Internetz, hat sich das ins Tausendfache potenziert. Mit einer beispiellosen Heftigkeit bekommt das die «Spiegel Online»-Kolumnistin Margarete Stokowski zu spüren. Im Vorwort ihrer Kolumnensammlung «Die letzten Tage des Patriarchats» schreibt sie, dass man sich sehr schnell an Hasskommentare gewöhne oder mit dem Job aufhöre. Man gewöhne sich ebenfalls daran, dass man missverstanden und falsch eingeschätzt werde. «Vieles ist nicht zum Lernen, sondern zum Einschüchtern, und das klappt nicht», so die Journalistin weiter. «Gewalt- und Mordandrohungen zeige ich an, alles andere nicht», schreibt sie lakonisch.
(Die letzten Tage des Patriarchats, S. 21)    

Nicht nur zum Lächeln den Mund aufmachen
Ich bin nun in meinem Leben an einem wirklich heiklen Punkt: Will ich mit meiner eigenen Stimme über feministische Themen schreiben – Themen, die mich wirklich wirklich interessieren, und muss ich dafür in Kauf nehmen, dass ich dafür Morddrohungen erhalte? Oder anders gefragt: Will ich eine Autorin mit Morddrohungsreichweite werden?
Ich bin weiblich sozialisiert, angepasst und hasse es, wenn man mich nicht mag. Die idealen Voraussetzungen, um nie eine Kolumnistin mit Morddrohungsreichweite zu werden. Doch was ich damals noch nicht begriff: Die ganzen Diffamierungen sind Kalkül des Patriarchats. Subtil und perfide will man uns mundtot machen, indem man uns abwertet. Ich bin Autorin und nicht Aktivistin – aber bei feministischen Themen lässt sich das eine ganz schnell nicht mehr vom anderen unterscheiden. Es ist an der Zeit, dass ich den Mund aufmache und es aushalte, wenn der Gegenwind bläst. Vielleicht gibt mir das ja genau den Antrieb, den ich brauche.

Pantoffelheldin at her best

Ich weiss nicht, wie ich meinem Umfeld noch deutlich machen kann, wie ungeschickt ich wirklich bin. «Du musst ja nicht handwerklich begabt sein. Dafür kannst du andere Dinge gut», werde ich dann beschwichtigt. Das ist wahnsinnig nett gemeint, aber ich spreche hier nicht von handwerklichem Talent. Ich spreche von fehlender lebenspraktischer Begabung. Diese umfasst Tätigkeiten, von denen sich die meisten Menschen gar nicht vorstellen können, dass man sie auch nicht können kann.  

Da die Erfolgserlebnisse ausbleiben, ist die Küche für mich mehr Kampfzone denn heimelige Zuflucht. So klebt bei uns in der Küche ein Post-it an der Wand, auf dem steht: «Flüssigkeit soll drin bleiben –> Deckel drauf». Trotz dieses Spickzettels lasse ich das Essen verbrennen. Manchmal koche ich das 10-Minuten-Ei auch nur fünf Minuten. Weil ich einfach vergesse, dass es zehn Minuten benötigt, bis es hart ist. Kochen und Haushalt sind so nervtötend – da schaltet sich mein Gehirn einfach aus. Hinzu kommt, dass es mich beim Kochen wie magisch wegzieht vom Herd. Dann finde ich mich vor dem Laptop wieder – nur noch schnell den einen Satz glätten oder an jener Formulierung schleifen. Was für ein Klischee: Die grosse Denkarbeiterin. Aber einen Nagel einschlagen kann sie nicht.

Doch wie damit umgehen? Früher hätte ich mit meiner Ungeschicktheit kokettiert in der Hoffnung, charmant zu wirken. Aber je älter ich werde, desto grösser wird die Gefahr, dass ich mich damit selbst entlarve. Verweigerung wäre cool und wohl auch dem Alter angemessen – aber das Problem löst sich dadurch nicht. Die Pflanze will trotzdem umgetopft, das Möbelstück angestrichen werden. Mir bleibt nur der mühselige Weg über Misserfolg und Lernen. Im Falle einer Demenz habe ich nur eine Bitte: Verschont mich wenigstens im Pflegeheim mit Kartoffelschälen oder Bastelarbeiten! Sehr gern gönne ich mir dann den Rundum-Service.      

Restkinderwunsch

Letzte Woche war ich wieder mal bei der Gynäkologin. Sie hat einen Krebsabstrich gemacht, meine Brüste abgetastet und mir allerlei Fragen gestellt. Vor allem zu meinem Zyklus. Natürlicherweise kam dabei auch die Frage aufs Tapet, wie es denn mit meinem Kinderwunsch aussehe. Ich habe gesagt, dass ich keine möchte.

Da meinte sie, dass angesichts meiner neu auftretenden Zyklusstörungen eine Progesteron-Therapie angebracht wäre, falls ich doch noch einen Restkinderwunsch verspüren würde. Einen Restkinderwunsch. Was um Himmels Willen ist ein Restkinderwunsch? Vielleicht liegt es ja an mir. Vielleicht habe ich mein Nein nicht entschieden genug zum Ausdruck gebracht. Und dennoch: Seit ich Anfang dreissig bin, beantworte ich nun jedes Jahr bei der Gynäkologin dieselbe Frage. Und ich bin es leid.

Brachliegender Uterus
Ich bin es leid, weil die Frage nach dem Kinderwunsch in so einem Setting einfach nicht neutral ist. Sie kann gar nicht neutral gestellt werden, wo im Wartezimmer doch all die Broschüren mit pausbäckigen Bébés auf dem Cover aufliegen. Da wird sosehr geframt – kein Wunder, kommt bei mir gleich ein Rechtfertigungsdruck auf! Schliesslich ist mein Gegenüber ja Fachärztin für die Funktionen des Uterus. Und jetzt liegt mein Uterus einfach so brach und wird willentlich nicht gebraucht. Da frage ich mich schon, warum mir das BAG eine jährliche Kontrolluntersuchung bei einer Uterus-Spezialistin empfiehlt. Jedes Jahr müssen diese Uterusse auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet werden! Meine Blase nutze ich imfall tatsächlich und dazu noch oft und ich schaue deswegen auch nicht einfach so standardmässig jährlich beim Urologen vorbei. Ja klar, die Krebsvorsorge: Die ist mir wichtig. Könnte ich aber auch bei einer Hausärztin kriegen.

Keine Reduktion auf die Gebärfunktion!
Es mutet etwas ironisch an, ausgerechnet in der Gynäkologie Verbesserungen zu fordern. Im einzigen medizinischen Fach also, das sich ausschliesslich der Frauenmedizin zuwendet. Schliesslich hat man erst gerade entdeckt, dass die Schulmedizin die Frauen über Jahrzehnte hinweg schlichtweg vergessen hat. Doch genauso wichtig finde ich, Frauen in der Gynäkologie nicht auf das Gebären zu reduzieren. Oder für Frauen, die nicht gebären möchten, einfach andere Empfehlungen herauszugeben.

«Sie wissen aber schon, dass 40 Tage zu lang sind und 21 zu kurz?», hat die Ärztin dann noch gefragt, als es um meinen Zyklus ging. Und ich so: «Zu kurz oder zu lang wofür?» Das kleine Wörtchen «zu» ist bereits eine Problematisierung der Normabweichung. Als ich dann noch flachste, dass ich dann ja eigentlich eine natürliche Verhütung hätte, reagierte sie ein wenig säuerlich. Alles, was ich mir wünsche, ist eine ganzheitliche Medizin – und Fragen abseits vom Standardfragebogen.

Es lebe meine Unfruchtbarkeit!  

Mein sauprivilegiertes Leben

Mein Leben in der ewigen Suchbewegung … das ist sicher etwas, das mein Bruder nie ganz verstanden hat an mir. Insgeheim legt er es mir als Undankbarkeit aus, das spüre ich. Dass ich nie ganz zufrieden bin mit dem, was ich habe. Dabei bin ich dankbar für alle Segnungen, die das Leben für mich bereithält. Meine Suche nach Austausch und Inspiration, nach neuartigen Gedanken und Gefühlen ist vielmehr Ausdruck einer unzähmbaren Neugierde auf alle Facetten des Lebens.

Ich gebe es ungern zu, aber es stimmt: Ich rege mich noch heute manchmal auf über Lebensformen, die mir allzu spiessig erscheinen. Mein Bruder gründete früh eine Familie, zog direkt von der Mutter zur Ehefrau und kokettiert noch heute damit, er könne keine Spülmaschine bedienen. Mein Spott war ihm gewiss. Das beschauliche Leben im Einfamilienhäuschen auf dem Land, mit der Hypothek und dem selbstfahrenden Rasenmäher erschien mir allzu sehr aufs Bewahren angelegt. Meine Künstlerseele hingegen dürstete es nach hohen Decken, Badewannen mit Löwenfüsschen und Einladungen zu Champagner-Vernissagen. Ein bisschen Boheme, halt.

Im Bewusstsein dieser Unterschiede wuchsen wir heran. Wuchs ich heran.

Inzwischen, so dachte ich, bin ich etwas toleranter geworden und offener für andere Lebensformen. Und dann kehrt es manchmal doch zurück, dieses Unverständnis. Sei es, wenn mir meine Freundin, die gerade Mutter geworden ist, von erworbenen Wickelkommoden, Beistellbetten und Autokindersitzen berichtet oder ich mal wieder fast nicht am Doppelkinderwagen meiner Nachbarn vorbeikomme, wenn ich mein Velo aus dem Keller holen möchte. Dann spannt sich die Feder an, und es braucht nicht mehr viel, bis sie überspannt und zurückschnellt.

Und dann standen meine Nachbarn gestern an der Tür, an der ich aufgeregt klingelte, weil es wie verrückt aus ihrer Küche qualmte. Die ganze Familie ist vergnügt, drei Augenpaare schauen zu mir hoch. Der Vater zeigt mir den Übeltäter: Eine völlig verkohlte Tortilla. In diesem Moment fühle ich mich so versöhnt mit ihnen. Die Fünfjährige erzählt mir noch, dass sie Tortillas am liebsten nur mit Gurken und Crème Fraîche isst und ich denke plötzlich: What.the.fuck. Statt zu stänkern, sollte ich mich lieber einfach vor diesen Menschen verbeugen, die diese Riesenarbeit auf sich nehmen. Drei – DREI – Kinder grosszuziehen und bestimmt keinen Moment für sich haben. Ich hingegen habe alle Zeit der Welt für die Dinge, die mir wichtig sind. Ich kann lesen, wann und so oft ich möchte. Ich kann reisen, bis mir die Ohren wackeln, die Joggingschuhe schnüren, wann immer mir danach ist, Freundinnen und Freunde treffen, ins Yoga gehen, zu allen möglichen Tages- oder Nachtzeiten schreiben, im Wald spazieren gehen, Wellnessurlaube machen, schön essen gehen …

Keine Geiss schleckt es weg: Ich habe echt ein sauprivilegiertes Leben.