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Autor: Nicole Imboden

Die Tattoo-Brüderschaft

Neulich sitzen die Amazonen und ich in der Kneipe, als wir mit vier Männern um die Zwanzig ins Gespräch kommen. Eine ganz alltägliche Situation. Was in der Folge passiert, ist allerdings nicht mehr ganz so alltäglich. Wer hätte gedacht, dass auf unsere harmlose Frage, «Seid ihr gute Freunde?», eine dermassen eindrückliche und in der Tat «handfeste» Antwort folgen würde. Wir staunen nämlich nicht schlecht, als die jungen Männer wie auf Kommando den Gürtel ihrer Jeans lockern, Knopf und Reissverschluss öffnen, sich umdrehen und uns ihre nackten Pos auf dem Präsentierteller entgegenstrecken.
Einen Moment lang sind wir sprachlos, was im Kreise der Amazonen wirklich nur in Ausnahmefällen vorkommt. Bis wir entdecken, dass auf allen entblössten Ärschen die gleiche Tätowierung prangt, haben wir unsere Sprache wieder gefunden und es kommt wie aus einem Mund: «Ist die neu?» Gekreische. «Was ist das?» Gelächter und Gekicher. Es ist eine Art chinesisches Schriftzeichen, das sie sich eben erst haben stechen lassen. Eine Tätowierung auf dem Arsch – was für ein Freundschaftsbeweis! Wir sind uns einig, dass ein tätowiertes Herz mit dem Namen des Freundes oder der Freundin lächerlich anmutet. Aber Freunde, die auf diese körperliche Art ein Leben lang aneinander erinnert werden wollen, das hat Stil!
Die Amazonen wollen den Jungs dann natürlich in nichts nachstehen und präsentieren voller Stolz ihren Freundschaftsring. Doch die Geste wirkt fad, ja die ganze Ringgeschichte wirkt plötzlich extrem langweilig und alltäglich. Schweren Herzens müssen wir diese Niederlage einstecken. Ich versuche dann zu trösten, indem ich sage: «Wir würden sowieso kein Motiv finden, das uns allen gefallen würde.» Worauf Lockenkopf wie aus der Pistole geschossen und in vollem Ernst sagt: «Ich glaube, ich würde ein Schmetterlingstattoo wollen.» Die Reaktion der anderen lässt nicht lange auf sich warten: «Ein Schmetterling? Spinnst du eigentlich?» Die durchdiskutierten Nächte, bis wir dann noch die geeignete Körperstelle auserkoren hätten, möchte ich uns doch lieber ersparen…

Ein Recht auf Liebestöter

Bridget Jones, die liebenswürdig-tapsige Katastrophen-Frau, hat den Begriff salonfähig gemacht: Liebestöter. Ein Liebestöter ist eine überdimensional grosse Unterhose, unmöglich in Schnitt und Farbe, die unter mysteriösen Umständen in die eigene Wäschekollektion geraten ist und darin eigentlich überhaupt keine Existenzberechtigung hat. Sie fällt völlig aus dem Rahmen, tummelt sich hässlich und munter zwischen den Cadillacs ihrer Gattung. Die Eremitin hat dafür den schönen Begriff «Gammler» geprägt. Fast jede Frau hat irgendwo so einen Liebestöter herumliegen, wenn sie nur tief genug in der Kommode gräbt.
Peinlich wird es erst dann, wenn unsere Liebestöter Blicken ausgesetzt sind, für die sie nie bestimmt waren. Einmal geriet der Gammler einer Freundin in die Schmutzwäsche der Männer-WG ihres damaligen Freundes. Einen Vollwaschgang später sah sein Kumpel den Liebestöter in seiner ganzen Pracht an der Wäscheleine hängen und konnte sich einen abschätzigen Kommentar nicht verkneifen. Ihr Freund nahm das unappetitliche Textil seiner Freundin in Schutz, indem er sagte: «Das ist eben ihre Mens-Unterhose».
Unterhosen, die frau nur während ihrer Tage trägt? Woher er das wohl hatte? Die Amazonen waren sich für einmal alle einig: Auch wir wünschen uns einen Mann, der unsere Liebestöter vor seinen Kumpels in Schutz nimmt und sogar dann noch schmeichelnde Worte für uns findet, wenn wir in dieselben gehüllt vor ihm stehen. Denn Liebestöter sind vor allem eins: Der eindrückliche Beweis dafür, dass wir uns selbst nicht allzu wichtig nehmen. Bridget Jones würde mir beipflichten.

Lasst uns Pinguine sein!

Ach wie schön haben es werdende Pinguin-Eltern: Zuerst setzt sich die Pinguin-Dame auf das Nest mit dem Ei, während der Pinguin-Mann weite Strecken zu Fuss zurücklegt, um Nahrung für beide zu beschaffen. Die gefangenen Fische verstaut er in seinem Rachen und erbricht sie seiner Angebeteten geradewegs vor die Füsse. Nachher tauschen die Pinguin-Eltern die Rollen, das Pinguin-Männchen brütet das Ei, während die Pinguin-Dame auf die grosse Reise geht.

Karriere machen, Leute führen, viel Geld verdienen: Das machen Frauen heute fast genauso selbstverständlich wie Männer. Doch von ihren Partnern Mitverantwortung einzufordern, kann nicht allein den Frauen überlassen werden – vor allem, wenn auf struktureller Ebene immer noch so viele Ungleichheiten existieren. Schwangerschaft und Geburt sind per Naturgesetz Sache der Frau – doch auch nach der Entbindung bleibt noch genug Zeit für das Pinguin-Modell.

Ein grosser Schritt in diese Richtung wäre die Annahme der Elternzeit-Initiative, die am 15. Mai im Kanton Zürich zur Abstimmung gelangt. Sie verlangt eine Elternzeit von 36 Wochen; der Anspruch von 18 Wochen pro Elternteil wird gleichmässig unter den Eltern aufgeteilt. Warum eine Elternzeit in der Schweiz nötiger ist denn je, zeigt die neue Praxis im Scheidungsrecht: Neu haben Geschiedene nicht mehr automatisch Anrecht auf Unterhaltszahlungen, die Gerichte erkennen die Ehe nicht mehr als Vorsorgeinstitution an – was im Grundsatz völlig richtig ist. Doch in der Realität trifft es vor allem die Frauen hart, weil nach wie vor sie es sind, die beruflich zurückstecken, um mehr Betreuungsanteile bei den Kindern zu übernehmen. In Zukunft werden sie sich noch genauer überlegen müssen, ob sie ihren Job für die Familie wirklich ganz oder teilweise aufgeben.

Wann begreifen wir endlich, dass wahre Gleichstellung erst dann zur Realität wird, wenn Männer am Arbeitsplatz wegen einer Schwangerschaft genauso ausfallen könnten wie Frauen? Studien belegen: Die Elternzeit-Initiative mindert die Diskriminierung von Frauen bei Anstellungsentscheiden, Löhnen und Karrierechancen und führt zudem zu einer ausgeglichenen Arbeitsteilung im Haushalt und bei der Kinderbetreuungsarbeit. Wenn wir leben möchten wie die Pinguine, braucht es gleich lange Spiesse für Mütter und Väter. Deshalb: Sagen Sie am 15. Mai Ja zur Elternzeit-Initiative!

Der zweite Platz

Meine Mitbewohnerin rauft sich beim Ausfüllen der Steuererklärung die Haare: Warum wird die Ehefrau auf dem Deckblatt immer als «P2» bezeichnet und damit auf den zweiten Platz verwiesen? Emanzipation ist ein lebenslanger Prozess und die Genderfrage stellt sich überall, auch beim Steuernsparen. Wir, Frauen um die dreissig, wurden von Müttern erzogen, die sich selbstlos für ihre Familien aufgeopfert haben. Der zweite Platz reichte völlig aus, «ja nicht zu viel wollen»; so waren sie sozialisiert worden. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich im Stillen nicht manchmal doch gefragt haben: Lebe ich wirklich in all meinen Möglichkeiten; aus meiner ganzen Fülle heraus? Selbst wenn viele Frauen unserer Müttergeneration im Lauf der Zeit wachsamer wurden für ihre Bedürfnisse, blieb die Selbstverwirklichung trotzdem meistens auf der Strecke. Die Zeit dafür war noch nicht reif oder einer der Ehepartner vermochte es nicht, über seinen eigenen Schatten zu springen. Heute ist alles anders, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wären vorhanden. Wir müssen nicht mehr an zweiter Stelle sein, von der Steuererklärung der Stadt Winterthur und ein paar anderen Baustellen einmal abgesehen. Unseren Müttern bleibt nur die Genugtuung, dass wir es besser machen werden. Und genau das sind wir ihnen schuldig.

Erschienen im «Winterthurer Stadtanzeiger», 22.05.2012

Schlitz-Neid

Den Seitenschlitz in der Männerunterhose scheint noch nie jemand ernsthaft hinterfragt zu haben. Er war einfach schon immer da – genauso wie die männliche Vorherrschaft der letzten Jahrhunderte.

Dabei vermittelt er ja ein so gar nicht schmeichelhaftes Bild der Männer: Im Stehen pinkeln, rülpsen und von Gott gegeben sein. Ich meine, ernsthaft: Kann mir jemand erklären, wofür es den Schlitz eigentlich braucht? Das Runterlassen der Hose auf Hüfthöhe dauert nun wirklich kurz genug!

Wie in der Gendermedizin und vielen anderen Bereichen orientiert man sich vielleicht auch in der Mode viel stärker an den Bedürfnissen der Männer: Ihnen designt man einen Schlitz, der bei Lichte betrachtet wirklich nicht nötig ist, während wir Frauen immer noch auf das Redesign des BHs warten.

Am Büstenhalter ist nicht nur der Name veraltet, sondern gleich das ganze Design. Die Häkchen, die beim Liegen in den Rücken pieksen, weisen auch nach hundert Jahren BH-Geschichte noch zu viele Parallelen mit dem freiheitsberaubenden Korsett von früher auf. Ich kenne genug Frauen, die sich ihres BHs entledigen, kaum sind sie in den eigenen vier Wänden.

Ich muss mir also eingestehen: Ich habe Schlitzneid. Während Frauen sich mit einem Kleidungsstück begnügen müssen, das einschneidet und einschränkt, ist der Weg zur luftigen Freiheit bei Männerslips so kurz wie ein Atemzug. Frauen, es ist wieder so weit: Verbrennt eure BHs! In diesen innovativen Zeiten ist das Überdenken eines Klassikers nun wirklich nicht zu viel verlangt.

Den Blick über den Kivusee

Ich krieg n‘ Kind!
Wie total anders das klingt als: Ich bekomme ein Baby. Ein Bébé. Einen Säugling.
Doch egal mit wie viel Löwenmut oder Ehrfurcht man diesem Wunder im eigenen Leben entgegentritt: Das Resultat bleibt das gleiche. Zumindest beruflich manövriert sich die Frau, sobald sie schwanger wird, für Jahre ins berufliche Abseits.

«Du kannst dann ja schreiben, wenn das Kind schläft», raten mir Leute, die wohl ganz offensichtlich die Realität verkennen. Wie soll ich an Schreiben überhaupt nur denken, wenn mir die Babykotze in den Haaren klebt, sich die Schmutzwäsche türmt und alles irgendwie nach Scheisse müffelt? In der kurzen Zeitspanne, in der das Kind schläft, komme ich nicht mal dazu, in Ruhe eine Dusche zu nehmen, geschweige denn meine Haare zu waschen! Ich habe von Frauen (und Männern) gehört, die es als den grössten Luxus erachten, auf dem Klo ein paar Minuten nur für sich zu haben. Bestimmt wissen viele Leute, wie viel Pflege, Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit so ein Kind einem abverlangt. Aber ganz offensichtlich wissen viele Menschen nicht, wie viel RUHE und RAUM das Schreiben erfordert. Mit vollem Terminkalender lässt sich verdammt schlecht schreiben und genauso wenig mit etwas, das einem ständige Aufmerksamkeit abverlangt. Jedenfalls ist das bei mir so und ich rate meinen Schreibschülern immer wieder, sich selbst darin unbedingt ernst zu nehmen.

Deine eigenen Bedürfnisse sowie deinen Anspruch darauf werden auf einen Schlag getilgt, sobald du so einen neu geborenen Menschen in den Armen hältst und ich finde das auch nicht in einem New Age-überwinde-dein-Ego-Sinn befreiend, sondern einfach nur scheisse. Es hat mich sehr viel Energie gekostet, zu erkennen, dass auch meine Bedürfnisse einen Wert haben. In meiner Familie verkörperten wie in vielen anderen Familien die Frauen den Altruismus und ich habe einen langen Weg zurückgelegt, bis mir aufging, dass auch Frauen egoistisch und Männer aufopferungsvoll und gütig sein können. Will ich etwas aufgeben, was ich mir mit Zähnen und Klauen erkämpft habe? Und zweitens: Will ich wirklich ein Leben, in dem sogar die grundlegendsten Dinge wie Körperpflege zu Luxusgütern werden? Natürlich ist es schön, eine Familie zu sein. Natürlich ist es horizonterweiternd, mit dem Nachwuchs den eigenen Spiegel vorgesetzt zu bekommen. Natürlich. Natürlich!

Und trotzdem: Ich krieg lieber kein Kind. Werde ich also eine jener Frauen, die aus Langweile ein Yoga-Retreat auf Fidschi buchen, jeden Tag einen warmen Kurkuma-Latte mit Mandelmilch trinken und zu viel Geld für teure bio-ledergegerbte Handtaschen ausgeben? Wohl kaum.

Auch wenn das in unserer Konsumwelt oft sehr scheinheilig klingt, möchte ich es trotzdem nicht ungesagt lassen: Ich glaube an das einfache Leben. Und einfach, das heisst in meinem Fall: mein Laptop, eine Tasse dampfenden Tee und den Blick über den Kivusee.

Papa Römerin und das Sonnenblumenfeld

Sonnenblumen sind Sommerfreuden. Und so staunte ich nicht schlecht, als ich diese Woche bei den Eltern der Römerin war, um etwas abzuholen. Vor dem Wohnzimmerfenster von Papa und Mama Römerin breitete sich nämlich frontal ein riesiges Sonnenblumenfeld aus wie ein verheissungsvoller Teppich. Ein Sonnenblumenfeld vor das Haus gepflanzt zu bekommen, das ist wie ein Sechser im Lotto, schliesslich kann man sich einen ganzen Sommer lang daran erfreuen. Dieses Gelb, das so frisch aussieht, wie sich ein leichter Sommerregen auf einer Vespa anfühlt – oder so grell, dass es blendet, wenn die Sonne im Zenit steht, wie mich Papa Römerin aufklärte. Zum Glück muss ich nie eine Sonnenbrille aufsetzen, wenn ich an einem sonnigen Tag nach dem Mittagessen Zeitung lesen will, und von unerwünschten Flug- und Kriechtieren mit haarigen Beinen werde ich auch verschont, wer weiss, vielleicht würden die Mücken oder Käfer auch böse Viren übertragen, während ich nichtsahnend auf meinem Liegestuhl fläze, ja und mein süsser Kater Merlin – wie leicht könnte er sich in so einem Sonnenblumenfeld verhaken, verhungern oder verdursten, ja und ausserdem: Wer weiss, wie viel Strahlkraft dieses Sonnenblumengelb tatsächlich hat, vielleicht reicht es bis ins Universum, Ausserirdische fangen das Signal ein und eines Nachts landen sie auf meinem Sonnenblumenfeld und nehmen mich gefangen und entführen mich in die Alpha Centauri-Galaxie oder brandmarken mich und ich erlebe die Evolution rückwärts, Tag für Tag, bis ich mich irgendwann in einen Käfer mit haarigen Beinen verwandle wie Gregor Samsa, ja und was für eine Katastrophe, wenn die Sonnenblumen verblühen, dann hätte ich ein Meer von brandschwarzen, toten Sonnenblumen, die den Kopf hängen lassen, vor meinem Fenster, die mich an Zerfall, Tod und Verwesung erinnern, ja ein unmissverständliches Zeichen für den nahenden Winter, ja viel schlimmer noch als Blätter, die vom Baum fallen, und dann, am schwärzesten Tag von allen, fährt der Mähdrescher auf und das Sonnenblumenfeld wird abrasiert und verwandelt sich in eine dunkle Einöde, die sich wie ein Wundmal in die Landschaft und in mein Herz bohrt. Uff, bin ich froh, dass ich kein Sonnenblumenfeld vor dem Wohnzimmerfenster habe.

Der rosarote Ponyfurz

Es war der dreissigste Geburtstag einer meiner Freunde, der mit einem Knall die Zeitenwende einläutete. Zum Spass hatte jemand Rauchkugeln mitgenommen, die im Verlauf des Abends gezündet wurden. Einer war knallrosa, und jemand rief aus: «Das sieht ja aus wie ein rosaroter Ponyfurz!» Wir lachten uns halb kaputt über diese Bemerkung. Doch seither ist der rosarote Ponyfurz in unser Leben eingekehrt. Er symbolisiert das in Watte gepackte Kleinfamilienparadies, in das sich jetzt immer mehr meiner Freunde begeben. Es kommen die Kinder, und alles verändert sich. Plötzlich flattern Bruncheinladungen ins Haus. Beginn sonntags um elf Uhr. «An einem Sonntag um elf schlafe ich noch!», empören wir Kinderlosen uns. Und noch vor wenigen Jahren – wenn nicht Monaten – hätten sie es noch genauso gemacht. Aus Schlafmützen sind liebevolle und engagierte Mütter und Väter geworden. Ich nehme an, ich werde mich daran gewöhnen müssen. Vielleicht ist es ja sogar schön. Ich möchte dieses neue Abenteuer auch unbedingt mit meinen Freunden teilen, was mich allerdings nicht davon abhalten wird, auch in Zukunft sonntags auszuschlafen. Und so ertappe ich mich dabei, wie ich mich im Stillen freue, wenn Lockenkopf am Frauenabend ins Lokal stürmt und ausruft: «Die Kleine ist so etwas von anstrengend im Moment. Wo ist der Alkohol?»

Vater werden wäre schön

«Ich würde gerne Vater werden!», sagte eine Freundin neulich aus heiterem Himmel. Vater? Weil die Karriereziele der Väter auch heute noch selten von einem Kinderwunsch durchkreuzt werden. Männer müssen sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden, sondern machen frischfröhlich einfach beides. Frischfröhlich ist auch die Geschichte eines Jungvaters, die mir neulich zugetragen wurde: Spontan sei er von seinem Bruder auf eine Auto-Spritztour eingeladen worden. «Nimm die Kleine doch mit, ich hole euch ab», schlug dieser vor. Gute Idee, dachte sich der Jungvater, nahm seine kleine Tochter auf den Arm und stieg an Bord. Irgendwann stellte sich heraus, dass er die Trinkflasche für das Kind vergessen hatte. Und erst als das Töchterchen «Papi, Gaggi», brabbelte, fiel ihm siedend heiss ein, dass er ja auch keine Windeln eingepackt hatte. Notfallmässig hielten sie bei einem Laden, um Windeln zu kaufen. Verantwortung übernehmen, das habe er zuerst lernen müssen. Dass sich Angelina Jolie hat die Brüste amputieren lassen, weil ihre Kinder sie nicht an Brustkrebs verlieren sollen, berührt mich zwar einerseits tief. Und trotzdem ist mir nicht ganz wohl dabei. Weil es den Mythos der aufopferungsvollen Mutter noch mehr hochstilisiert. Wenn ein Vater die Windeln einzupacken vergisst, finden wir es lustig. Wenn es einer Mutter passiert, gilt sie als wirr. Ja, Vater zu werden wäre schön.

Erschienen im «Winterthurer Stadtanzeiger», 04.06.2013

Die sieben Zentimeter

Das mit dem Frausein ist so eine Sache. Auf unserem Weg zur vollkommenen Sinnlichkeit werden uns immer wieder Fallen gestellt. Die sieben Zentimeter beispielsweise. Ab sieben Zentimeter sind High Heels nämlich offiziell High Heels. In Stöckelschuhen fühlen sich Frauen selbstbewusst und weiblich. Weil Frauen auf hohen Schuhen durch die Landschaft schaukeln, jedem Kanaldeckel ausweichen und dabei immer noch souverän lächeln sollten, sind sie manchmal ganz froh, ab und an einen Mann an ihrer Seite zu wissen, an dessen Arm sie sich ein wenig unterhaken können. High Heels scheinen nie eine falsche Wahl zu sein, auch nicht auf einer schneebedeckten Strasse in einem Schweizer Wintersportort. Die Szene, dessen Zeuginnen wir Amazonen in jener Neujahrsnacht werden: Zwei Liebespaare stehen am Strassenrand und warten auf ein Taxi, die Damen sind zurechtgemacht und tragen doch tatsächlich…High Heels. Wir schauen uns ungläubig an, so viel Dummheit macht sogar uns sprachlos. «Diese Frauen können heute Abend tatsächlich keinen einzigen Schritt alleine tun», sage ich in das Schweigen hinein. Die Römerin antwortet: «Was denkst du denn, die haben VIP-Eintritte in einen angesagten Club. Die müssen heute gar nicht mehr auf die Strasse.» Nicht so wie wir, die in Silversternächten meistens noch bis kurz vor zwölf um die Häuser ziehen ohne zu wissen, in welche Säuferbar es uns dieses Mal verschlagen wird.

Wir stapfen also weiter durch den Schnee und finden tatsächlich noch ein warmes Plätzchen für den Moment des Champagnerknallens. Als die Uhr Mitternacht anzeigt, fallen wir uns stürmisch um den Hals, uns von ganzem Herzen alles Gute wünschend. Danach ist mir etwas feierlich zumute. Und anstatt meiner Weiblichkeit mit sieben Zentimeter hohen Absätzen Ausdruck zu verleihen, beschliesse ich, mir fünf süsse Zentimeter der etwas anderen Art zu gönnen. «Ich lasse mir jetzt am Automaten einen Taschenvibrator raus», verkünde ich meinen Freundinnen in feierlichem Tonfall und rutsche von meinem Barhocker. Auf ein vibrierendes neues Jahr!

Als ich den Automaten im Untergeschoss anpeile, stehen da bereits zwei Frauen, die sich angeregt unterhalten. Ich denke bereits daran, meine Mission auf später zu verschieben, weil ich mich ein klitzekleines bisschen geniere. Doch dann beschliesse ich, zu meinem Bedürfnis zu stehen und fasse mir ein Herz. ICH KAUFE MIR HEUTE NACHT EINEN VIBRATOR, wiederhole ich innerlich mein Mantra, füttere den Automaten mit zwei Fünfliberstücken, als ich feststellen muss, dass dieser Automat kein Rückgeld gibt. Anstatt acht Franken zahle ich deren zehn. Aber was soll’s, schliesslich ist heute Silvester und vielleicht ist meine Neuanschaffung ja eine echte Investition. Mit grösster Sorgfalt wähle ich die richtige Taste, schliesslich will ich kein Kondom, nein, ich will einen TOY BOY. Die zwei Frauen, die sich nun über meinen Kopf hinweg unterhalten müssen, nehmen keine Notiz von mir. Ohne Unterlass plappern sie weiter. Und gerade, als ich das Päckchen aus dem Fach nehmen und verduften will, kommt eine junge Frau die Treppe herunter und verkündet lautstark: «Dä muess huere geil si, mini Fründin hät dä glich!» Es war einer meiner aufregenderen Silvesternächte.